Zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Schönefeld

Nach der Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) beauftragte dessen Betreiberfirma, die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Historiker mit der Erforschung der Geschichte der Henschel Flugzeug-Werke in der Zeit des Nationalsozialismus. Es entstand das Buch „Der erste Flugplatz in Schönefeld. Im Dienst des nationalsozialistischen Krieges“, das im April 2022 im Wasmuth & Zohlen Verlag erschienen ist.

 

Nach den in dem Buch veröffentlichten Recherchen waren die Schönefelder Flugzeugwerke mit Werksflugplatz nahezu aus dem Nichts entstanden, nachdem der Kasseler Unternehmer Oscar R. Henschel im Juli 1934 die folgenschwere Entscheidung getroffen hatte, ein bis dahin unscheinbares, 18 Kilometer südöstlich der Reichshauptstadt gelegenes Gelände zwischen den Dörfern Schönefeld und Diepensee für die Henschel Flugzeug-Werke AG (HFW) zu nutzen.  Neben Schönefeld standen 19 Standorte als neue Produktionsstätte der erst ein Jahr zuvor gegründeten Henschel-Werke zur Diskussion. Ausgewählt wurde ein holpriger Acker, der sich wenige Jahre später in einen der wichtigsten Produktionsstandorte für die Luftwaffe der nationalsozialistischen Diktatur verwandelte. Es war das erste Großprojekt der Luftrüstung im Raum Berlin.

 

Die Gründung der Henschel Flugzeug-Werke als Tochterunternehmen der Firma Henschel & Sohn hing eng mit der wenige Monate zuvor erfolgten Machtübernahme der nationalsozialistischen Partei zusammen. Da es damals in Deutschland nur wenige Flugzeughersteller gab, eröffnete sich dem bislang im Schienen- und Straßenfahrzeugbau tätigen Unternehmen, die Chance, vom Luftrüstungsprogramm der neuen Regierung zu profitieren.

 

In hoher Geschwindigkeit entstanden auf dem Acker von Schönefeld neben Sozial- und Verwaltungsgebäuden, von denen viele heute noch erhalten sind und der Flughafengesellschaft lange als Sitz dienten, knapp ein Dutzend Montagehallen für die Flugzeugproduktion, die 1935 in Betrieb ging. Das neue Werk wurde als „das modernste, nach neuen Gesichtspunkten aufgebaute Flugzeugwerk“ gepriesen.

 

Neben den Werksanlagen, die nahe des Dorfes Schönefeld gebaut worden sind, entstand bei Diepensee die Erprobungsstelle der Luftfahrtindustrie (ELI), später Luftfahrterprobungsstelle Diepensee (LED), die insbesondere Zulieferbetrieben Raum für die eigene Entwicklungsarbeit bot. Auf dem parallel errichteten Flugplatz fanden im April 1935 die ersten Rollversuche und Belastungstests statt.

 

Zu Kriegsbeginn am 1. September 1939 war das Flugzeugwerk zunächst „vollendet“. Neben der Entwicklung eigener Maschinen, produzierte Henschel vor allem auch Flugzeuge in Lizenz, darunter Maschinen oder Maschinenteile der Hersteller Junker und Dornier.

 

Insbesondere im Laufe des Krieges wuchs der Bedarf an Flugzeugen immens. Es wurde eine weitere Montagehalle nötig. Hinzu kamen Luftschutzanlagen und seit Sommer 1940 erste Barackenlager für Vertragsarbeitskräfte, aber auch Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangene. Die Rüstungsproduktion boomte. In den Werkshallen entstanden Kampfflugzeuge, Flugzeugteile, Gleitbomben und andere Waffen wie Waffensysteme. Neben Deutschen aus dem Berlin-Brandenburger Raum waren es vor allem auch viele Ausländer*innen, die die Kriegsproduktion aufrecht erhielten.

 

Allein im ersten Halbjahr 1941 wurden zwei Lager mit Baracken für mehr als 1.000 Arbeitskräfte errichtet, auf dem Werksgelände in Johannisthal kam im gleichen Sommer ein drittes hinzu. Im Februar 1942 begannen die Planungen eines „Russenlagers“, das als Lager IV im Südwesten des Flugplatzes an einer Chaussee zwischen Schönefeld und Diepensee lag.

 

Im gleichen Jahr entstand nördlich der heutigen Waltersdorfer Chaussee das Lager V, das 2024 durch archäologische Untersuchungen im Rahmen einer Baumaßnahme in großen Teilen nachvollzogen und dokumentiert werden konnte. Dieses Lager umfasste 81 Baracken, die für bis zu 3.600 Arbeiterinnen und Arbeiter errichtet worden waren und gilt als eines der größten dieser Art.

 

Zwei weitere Lager schlossen sich im April 1943 an. Zu dieser Zeit waren es über 5.000 Arbeiter und Arbeiterinnen, vor allem aus der Sowjetunion und Polen, die im Schönefelder Werk Zwangsarbeit leisten mussten. Insgesamt waren auf dem Gelände der Henschel Flugzeug-Werke zeitweise weit über 10.000 Menschen in die Rüstungsproduktion eingebunden. Es handelte sich um eines der größten Ballungsgebiete der Luftwaffenrüstung weltweit.

 

Seit 1944 wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück nach Schönefeld gebracht, darunter auch Frauen und Mädchen. Ihre Unterbringung erfolgte  direkt in einer Produktionshalle, nachdem mehrere Barackenlager bei Bombenangriffen im Dezember 1943 schwer beschädigt und teils aufgegeben worden waren.

 

Das neue Lager bestand bis kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee am 21. April 1945. In dieser Nacht wurden die verbliebenen Gefangenen auf einen Todesmarsch nach Oranienburg geschickt. Die Produktion in den Henschel Flugzeug-Werken kam zum Erliegen.

 

Am 24. April 1945 wurde das Werksgelände durch sowjetische Truppen besetzt, wenig später teildemontiert. Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration der Provinz Brandenburg erfolgte zwei Jahre später die Umgestaltung des Flugplatzes der Henschel Flugzeug-Werke in einen Flughafen Schönefeld. (sos)

 

Quelle: Der erste Flugplatz Schönefeld. Im Dienst des nationalsozialistischen Krieges. Harald Bodenschatz, Christoph Bernhardt, Stefanie Brünenberg, Andreas Butter. Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin 2022. ISBN: 9-783803-034182.

Lager V  – Luftbildaufnahme von 1943. – Quelle: Geschichtswerkstatt Schönefeld


Zentraler Standort der Rüstungsindustrie

Das folgende Video ist eine Produktion der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH und wurde der Gemeinde Schönefeld zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Begleitend zum Buch gibt es Einblick in die Geschichte der Henschel Flugzeug-Werke, deren Rüstungsindustrie und der damit in Zusammenhang stehenden NS-Zwangsarbeit.


Weitere Informationen:

Kontakt

Gemeinde Schönefeld c/o Pressestelle
Hans-Grade-Allee 11,
12529 Schönefeld

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