21.02.24

Seit einem knappen Jahr finden auf einem ca. 86.000 Quadratmeter großen Baufeld im Schönefelder Norden durch die Berliner Grabungsfirma AAB archäologische Untersuchungen statt. Das zu untersuchende Areal ist Teil des Entwicklungsgebiets an der Hans-Grade-Allee, für welches die Gemeinde im Jahr 2022 einen städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerb initiierte. Es ist das erste Grundstück der rund 150 Hektar großen Freifläche, das bebaut werden soll. Der Landkreis Dahme-Spreewald wird dort ein neues Gymnasium errichten.

Wie zwischenzeitlich bekannt wurde, befand sich von 1941 bis 1945 auf der zwischen dem Flughafen BER und der ehemaligen innerdeutschen Grenze gelegenen Fläche ein NS-Zwangsarbeiterlager der ehemaligen Henschel-Flugzeug-Werke (HFW). Der Schönefelder Standort der HFW war in der Zeit des Nationalsozialismus Europas größte Produktionsstätte für Kampfflugzeuge und Gleitbomben. In dem zu untersuchenden Baugebiet befand sich das sogenannte Lager V, das größte der insgesamt sieben HFW-Zwangsarbeiterlager. In diesem waren neben Kriegsgefangen diverser Nationen auch KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen und Ravensbrück interniert. Schriftliche Überlieferungen nennen eine Belegungszahl von mehreren 1000 Gefangenen, die dort Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten mussten. In den „streng vertraulichen Monatsberichten“ der HFW ist die Rede, dass es in den Schönefelder Lagern täglich im Schnitt 30 Todesfälle gab.

Luftangriffe der Alliierten auf Schönefeld nachgewiesen

Bis dato konnten insgesamt 26 Gebäude im Baufeld erfasst und dokumentiert werden. Bei den Unterkunftsbaracken handelte es sich um sogenannte Normbaracken des Typs RLM 501 (Baracken des Reichsluftfahrtministeriums). Diese, aus Fertigteilsegmenten errichteten Unterkunftsbaracken, waren in der Regel 45 Meter lang und 12,5 Meter breit. Gegründet wurden die RLM-Baracken auf Pfahlrostfundamenten. In einzelnen Fällen wurden für eine Baracke bis zu 500 Pfosten in regelmäßigen Reihen in den Boden gesetzt. Der obertägige Aufbau sowie die Bodenplatte waren nicht mehr erhalten, da diese nach Kriegsende demontiert wurden und einer sekundären Nutzung zugeführt wurden. Die in den „streng vertraulichen Monatsberichten“ erwähnten Luftangriffe der Alliierten auf die Produktionsstätten der HFW konnte auch im archäologischen Befund nachgewiesen werden. Neben dem Auffinden von dutzenden Fallgewichten von Brandbomben konnten Bombentrichter und auch Brandschäden an den Baracken nachgewiesen werden. Durch die enorme Hitzeeinwirkung der Phosphor-Brandbomben waren die Pfosten der entsprechenden Baracken bis tief in den anstehenden Boden verkohlt.

Unterschlupf während eines Fliegeralarms fanden die Zwangsarbeiter in sogenannten Splitterschutzgräben. Hierbei ist kritisch zu bedenken, dass in diesen Gräben keine Individuen, sondern lediglich Arbeitskraft geschützt werden sollte. Diese w-förmig angelegten, mindestens 50 Meter langen und bis zu zwei Meter tiefen Schutzgräben waren systematisch zwischen den Baracken verteilt. Der Erdaushub wurde als Wall bzw. als schützendes Element über der Deckenkonstruktion verwendet. Der Laufhorizont der Splitterschutzgräben war mit Betonplatten der Firma „Gnaden“ ausgelegt. Jede dieser Betonplatten war mit einem Jahresstempel versehen, in dem ausnahmslos das Frühjahr 1943 datiert war. Für den Fall eines Brandes wurden drei Löschwasserbecken auf dem Gelände angelegt. Diese Becken waren bis zu 30 x 20 Meter groß und drei Meter tief und fassten ein Volumen von bis zu 1500 m³.

Lückenlose Dokumentation möglich

Neben den Unterkunftsbaracken konnten auch diverse, teils unterkellerte Wirtschaftsgebäude dokumentiert werden. Im nördlichen Lagerbereich befindet sich ein komplexes Frisch- und Abwassersystem welches neben den Wirtschafts- auch die Sanitärgebäude verband. Allerdings waren die bisher erfassten Latrinen nicht an das Abwassersystem angeschlossen. Die Kloake musste von den Zwangsarbeitern händisch aus Sammelbecken geschöpft werden, welche sich jeweils am Ende der Latrine befanden. Teile der Lagerumzäunung konnten im süd- und westlichen Bereich des Baufeldes dokumentiert werden.

Knapp außerhalb des Lagers wurden neben einem Gleisbett außerdem noch einige prähistorische Siedlungsbefunde mit bisher noch unbekannter Zeitstellung erfasst.

Zu den Funden zählen vorwiegend Konstruktionselemente der ehemaligen Lagerbebauung, typisches Lagerinventar wie Geschirr, Tassen und Flaschen, aber auch sehr viele nachkriegszeitliche Funde, da das Gelände nachgenutzt und im Zuge des Mauerbaus eingeebnet wurde.

Die archäologischen Untersuchungen werden voraussichtlich bis ins Frühjahr 2024 andauern. In den Nachbargrundstücken, die im Zuge der zukünftigen Bebauung auch erschlossen werden, ist mit weiteren Lagerbefunden zu rechnen. Wenn diese ebenfalls fachgerecht archäologisch begleitet werden, kann das Lager V der Henschel-Flugzeug-Werke nahezu lückenlos dokumentiert werden, was für die Aufarbeitung der NS-Zwangsarbeit von enormen Wert sein wird.

Die Untersuchung im Bereich der Erschließungsstraßen wurden von der Gemeinde Schönefeld in Auftrag gegeben, die Bauherrschaft für das geplante Gymnasium trägt der Landkreis Dahme-Spreewald. Die Ausgrabung ist eine Auflage der Denkmalschutzbehörden und steht unter fachlicher Aufsicht des Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (BLDAM).

 

(Quelle: Christoph Kutz, Archäologe / sos)

 

Zu den spektakulären Funden gehören Betonplatten von Splitterschutzgräben als auch lagerzeitliches Inventar. Fotos: Christoph Kutz (M.A.)/ AAB Archäologie

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